Die Drogenbeauftragte und der Jugendschutz: Kontraproduktive Verschärfungsvorschläge

Wenn es nach der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), geht, sollen Spiele mit hohem „Suchtpotenzial“ eine höhere Alterskennzeichnung bekommen. In einem Interview mit der Funke Mediengruppe fordert sie, insbesondere Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen von Onlinespielen künftig bei den Alterseinstufungen zu berücksichtigen. Pünktlich zum heutigen Auftakt der Jahrestagung der Drogenbeauftragten sorgt sie damit für wohl kalkulierte Medienpräsenz.

Allerdings verkennt Mortler die Funktion der Alterskennzeichen im System des deutschen Jugendschutzes. Die von ihr vorgeschlagene Verschärfung ist nicht nur unnötig, sondern sogar kontraproduktiv, weil sie das etablierte und bewährte System der Altersfreigaben verwässern und Eltern die Auswahl altersgerechter Computerspiele erschweren würde.

Das bewährte System der Alterskennzeichen

Um die Brisanz der Forderung zu verstehen, muss man zunächst die Grundlage der Spielekennzeichnungen betrachten. Das Jugendschutzgesetz regelt, dass Spiele, die geeignet sind, die Entwicklung von Minderjährigen zu beeinträchtigen, für die betroffenen Altersstufen nicht freigegeben werden dürfen. Medien ohne jugendschutzrelevante Inhalte erhalten folglich eine Freigabe ohne Altersbeschränkung, andere Titel können eine Freigabe ab 6, 12, oder 16 Jahren erhalten. Medien „ohne Jugendfreigabe“ dürfen nur an Volljährige verkauft werden. Die Freigabe richtet sich nach den ältesten Spielern der betroffenen Gruppe. So darf ein für 13-Jährige möglicherweise beeinträchtigendes Spiel erst ab 16 Jahren freigegeben werden.

Die Freigabe sagt nichts darüber aus, ob ein Spiel für die jeweilige Altersgruppe verständlich oder vom Schwierigkeitsgrad geeignet ist. „Entwicklungsbeeinträchtigend“ sind Inhalte, die geeignet sind, das körperliche, geistige oder seelische Wohl Minderjähriger zu beeinträchtigen. Ein Vierjähriger wird mit einem Schachprogramm („ohne Altersfreigabe“) zwar wenig anfangen können, beeinträchtigend ist es für ihn aber nicht.

Bedeutung hat die Kennzeichnung damit vor allem auch für Eltern, sie dient als Information und hilft bei Kauf- oder Spielentscheidungen. Der Elternratgeber der USK fasst es treffend zusammen: „Ein Alterskennzeichen der USK gibt Ihnen als Eltern die Sicherheit, dass eine Beeinträchtigung der Entwicklung Ihres Kindes in der jeweiligen Altersgruppe ausgeschlossen werden kann.“

Ein systemwidriger Vorschlag

„Ein Spiel wie ‚World of Warcraft‘, das heute für 12-Jährige freigegeben ist, hat ein so hohes Suchtpotenzial, dass es eigentlich erst ab 18 Jahren frei sein dürfte“, wird in dem Artikel der Psychologe Dr. Hans-Jürgen Rumpf zitiert. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Prävention von Internetbezogenen Störungen“ des bundesweiten Drogen- und Suchtrats. Die Forderung von Mortler geht auf Empfehlungen seiner Arbeitsgruppe zurück.

Im System des Jugendschutzrechts findet dieser Vorschlag aber keinerlei Rückhalt. Das Jugendmedienschutzrecht bewertet den gedanklichen Inhalt von Medien, nicht aber das potentielle Ausmaß der Mediennutzung. Hier setzt das Erziehungsrecht und die Erziehungsverantwortung der Eltern an. Es ist daher Konsens, dass die Intensität des Nutzungsverhaltens kein Kriterium für eine Entwicklungsbeeinträchtigung oder Jugendgefährdung ist. Nicht zuletzt die Jugendschutzsachverständigen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien weisen hierauf in ihrer Spruchpraxis konsequent hin.

Dieses Grundprinzip über Bord werfen zu wollen, wäre im Übrigen auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Das System der Alterskennzeichnung mit den damit einhergehenden Vertriebsbeschränkungen ist natürlich ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Kommunikations- und Berufsfreiheiten der Medienanbieter. Ob solche Beschränkungen zum Zweck des Abwälzens von Erziehungsverantwortung von den Eltern auf die Medienanbieter noch verhältnismäßig wären, kann bezweifelt werden.

Kontraproduktive Konsequenzen

Aber auch jenseits dieser rechtlichen Überlegungen ist der Vorschlag schlicht kontraproduktiv. Eltern vertrauen den bewährten Alterskennzeichen, weil sie häufig Inhalte von Computerspielen nicht selbst einschätzen können. Bei einem Spiel „ab 12“ wissen sie, dass keine für Jugendliche problematischen Gewalt- oder Sexualdarstellungen enthalten sein werden. Pädagogische Verantwortung können die Kennzeichen aber nicht ersetzen – auch wenn viele Eltern sich von den Alterskennzeichen sogar mehr Information zum Spielinhalt wünschen würden, wie das etwa im PEGI-System mit seinen Inhaltsdeskriptoren anschaulich umgesetzt ist.

Wie viel Zeit die Kinder vor dem Rechner verbringen, können Eltern aber selbst ohne inhaltliches Wissen um die Spiele kontrollieren. Hilfestellungen für die Festlegung einer angemessenen Spieldauer bietet abermals der Elternratgeber der USK.

Die Umsetzung der Forderung der Drogenbeauftragten würde aber bedeuten, dass Eltern den Inhalt eines Spiels anhand der Alterskennzeichnung schlicht gar nicht mehr einschätzen können. Bislang können Eltern den Schluss ziehen: „Hohe Altersfreigabe = potentiell problematische Inhalte“. Eine Änderung würde dazu führen, dass harmlos-fesselnde Spiele die gleiche Altersfreigabe erhielten wie Spiele mit jugendschutzrechtlich relevanten Inhalten. Auf die „analoge“ Welt übertragen hieße das, zeitintensive Spiele wie Monopoly oder packende (dicke) Jugendbücher wie Harry Potter gleichzusetzen mit Horror- und Splatterfilmen.

Ein solches „beliebiges“ Alterskennzeichen freilich würden viele Eltern nicht mehr ernst nehmen. Letztlich läuft die Forderung damit auf eine Verwässerung des Jugendschutzes hinaus, die eigentlich niemand wollen kann.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Die Drogenbeauftragte und der Jugendschutz: Kontraproduktive Verschärfungsvorschläge“

  1. Avatar von Robert Rosanke

    Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Aber das Argument mit dem World of Warcraft kam mir ebenfalls direkt in den Sinn.

    Denn so könnte es für Eltern schwer werden einzuschätzen, was nun für das Kind geeignet ist und was nicht.
    Außerdem würde ein gutes Spiel ja gleichzeitig dafür bestraft werden, dass es gut ist und den Spieler fesselt. Und sind wir mal ehrlich, dann bereuen wir es heute sicherlich nicht, dass wir damals Sonic an der Nintendo gespielt haben. Eher im Gegenteil: Es sind schöne Erinnerungen..

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