Neues Urteil zu Werbung in Onlinespielen: „Kauft ein im Haustiershop“ ist keine verbotene Kinderwerbung [update]

Die Verunsicherung nach dem endgültigen Runes of Magic-Urteil des BGH über die (angebliche) direkte Kaufaufforderung an Kinder durch einen Werbetext für virtuelle Items in einem Onlinespiel war groß. Darf man in der Werbung wirklich niemanden mehr duzen? Was ist eine speziell an Kinder adressierte Werbung und wo verläuft die Grenze zu zulässigen, allgemein üblichen werblichen Ansprachen? Selbst das BGH-Urteil enthielt dazu widersprüchliche Passagen. Wir haben uns hier im Blog intensiv mit dem Runes of Magic-Urteil und den daraus resultierenden Folgefragen auseinandergesetzt.

Jetzt hatte das LG Berlin über einen ganz ähnlichen Sachverhalt zu entscheiden. Es schnappte sich die günstige Gelegenheit und stellt unmissverständlich klar: Doch, man darf. „Holt es Euch jetzt“ und „Kauft ein im Haustiershop“ sind keine verbotene Kinderwerbung. Die Berliner Richter setzen sich in ihrem Urteil ebenfalls intensiv mit dem Urteil des BGH auseinander.

Der Fall

Geklagt hatte einmal mehr der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Der Betreiber eines Online-Rollenspiels hatte für virtuelle Zusatzitems unter Anderem mit folgenden Aussagen geworben:

Kauft ein im Haustiershop

Neues exklusives Reittier: Gepanzerte Blutschwinge – Holt es Euch jetzt

Diese monströse, fleischfressende Fledermaus ist der perfekte Begleiter für einen Abstecher zum nächsten Schlachtfeld, um Tod und Zerstörung zu verbreiten.

Darin sahen die Verbraucherschützer eine gemäß Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG („Blacklist“) verbotene unmittelbare Kaufaufforderungen an Kinder, was sich insbesondere an der Verwendung des Wortes „Euch“  zeige.

Die Entscheidung

Dieser Argumentation erteilt das Gericht eine deutliche und sorgfältig begründete Absage (LG Berlin, Urteil vom 21. April 2015, Az. 16 O 648/13).

Zunächst stellt das Gericht klar, dass der Begriff „Kind“ in diesem Kontext unionsrechtlich und nicht nach dem rein deutschen Rechtsverständnis auszulegen ist, weil die „Blacklist“ auf einer EU-Richtlinie beruht. Zumindest theoretisch komme daher eine Auslegung in Betracht, die alle Minderjährigen als „Kinder“ versteht. Dies hält das Gericht im Ergebnis aber für falsch und sieht auch bei unionsrechtlicher Auslegung nur Minderjährige unter 14 Jahren von dem Begriff „Kind“ erfasst.

Kein kindertypisches Produkt

Diese Zielgruppe werde von der Werbung nicht gezielt angesprochen. Weder aus dem beworbenen Produkt noch aus dem Kontext der Werbung oder aus den verwendeten Formulierungen ergebe sich eine solche gezielte Ansprache:

Bei dem Produkt handele es sich um ein komplexes und anspruchsvolles Spiel (soweit die Richter es überdies als „teilweise auch grausam oder blutrünstig“ bezeichnen, schießen sie allerdings etwas über das Ziel hinaus). Ob sich Kinder hiervon eventuell aus Neugier oder wegen eines „Reiz des Verbotenen“ angezogen fühlten, sei aber unerheblich. Das Gericht stellt fest, dass jede andere Auslegung zu dem Ergebnis führen müsste, dass so gut wie jede Kaufaufforderung verboten werden müsste, was offensichtlich nicht Ziel der gesetzlichen Regelung sei.

Duzen erlaubt

Auch im „Duzen“ sehen die Richter kein Indiz für die gezielte Ansprache von Kindern. Dies sei mittlerweile auch gegenüber Erwachsenen üblich.

Etwas anderes ergebe sich schließlich auch nicht aus der Formel des Bundesgerichtshofs aus dem Runes of Magic-Urteil, wonach eine gezielte Ansprache von Kindern bei einer Kombination aus der 2. Person Plural und mit „überwiegend kindertypischen Begriffen einschließlich gebräuchlicher Anglizismen“ anzunehmen sei.

Zum einen, so das Gericht, sei der Fall hier anders gelagert, weil das Spiel auf eine noch ältere Zielgruppe ausgelegt und Sätze wie der von der „monströsen, fleischfressenden Fledermaus“ keinesfalls kindertypisch seien.

Zum anderen aber sei der Entscheidung des Bundesgerichtshof schon nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, wie das Merkmal der „kindertypischen Begrifflichkeit einschließlich gebräuchlicher Anglizismen“ zu verstehen und in der Praxis anzuwenden sei, so dass im Zweifel ein Verbot von Werbeaussagen nicht in Betracht komme.

Kommentar und Ausblick

Dem Urteil des Landgerichts Berlin ist zuzustimmen. Eine Werbeaussage richtet sich nicht deswegen direkt an Kinder, weil der Adressat in der 2. Person angesprochen wird – gerade im informellen Sprachraum des Internets und im Spielebereich ist dies auch unter Erwachsenen allgemein üblich.

Die Kritik der Rechtsliteratur an dem Runes of Magic Urteil des BGH bestätigt das Gericht mit deutlichen Worten. So heißt es wörtlich in dem Urteil, dass die Werbung

im vorliegenden Fall (noch) weniger kindertypische Begrifflichkeiten enthielt

(Hervorhebung von uns). Offenkundig halten auch die Berliner Richter das BGH Runes of Magic-Urteil für wenig nachvollziehbar. Umso erfreulicher ist daher der Schlussakkord des Urteils: Auch wegen der Unklarheit der BGH-Rechtsprechung müssten Werbeaussagen im Zweifel erlaubt bleiben.

[update März 2016] Das Urteil nach Bestätigung durch das Kammergericht nun rechtskräftig.

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