Löschen von Nutzerbeiträgen: „Hassrede“, NetzDG und AGB-Kontrolle

Am 1. Januar 2018 ist die Frist für die Betreiber von soziale Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzer abgelaufen, um ein Löschverfahren nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) umzusetzen. Das Gesetz sieht vor, dass soziale Netzwerke unter bestimmten Bedingungen rechtswidrige Inhalte innerhalb einer kurzen Frist (24 Stunden bis 7 Tage) löschen. Kritisiert wurde daran insbesondere, dass die Meinungsfreiheit nicht ausreichend geschützt wird und die soziale Netzwerke zu „Richtern wider Willen“ gemacht würden. Die hohen Bußgelder (bis zu fünf Millionen Euro) und kurze Entscheidungsfristen würden die Betreiber dazu zwingen, unter Umstände auch rechtmäßige Inhalte zu löschen.

Zwar scheint sich ein solches „Overblocking“ – nach anfänglichen medienwirksamen Pannen – inzwischen in Grenzen zu halten. Dafür stellen sich den Anbietern nun andere Probleme: Die Rechtsprechung hält weit formulierte Löschungsvorbehalte in AGB für unwirksam und pocht darauf, dass Anbieter bei Lösch-Entscheidungen auch die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit berücksichtigen müssen.

Nutzungsbedingungen müssen die Meinungsfreiheit schützen

Betreiber von sozialen Netzwerken haben nicht auf das NetzDG gewartet, um die von Nutzern veröffentlichten Inhalte zu regulieren. Im Rahmen ihres virtuellen Hausrechts haben diese schon längst eigene Regeln zur Löschung unangemessener Inhalte erstellt und laufend durchgesetzt. Diesem Hausrecht sind jedoch Grenzen gezogen.

So hat das OLG München (Beschluss v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18) entschieden, dass die Löschung eines Kommentars einer Nutzerin in einem sozialen Netzwerk unzulässig war. Die Klausel der Nutzungsbedingungen auf die sich der Betreiber beruft sei unwirksam, weil sie die Nutzer als Vertragspartner, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (§ 307 Abs. 1. Satz 1 BGB).

Problematisch war für das Gericht, dass es für die Berechtigung zur Löschung nach dem Wortlaut der Klausel allein auf die Ansicht des Betreibers ankam, ob ein Inhalt entfernt werden darf oder nicht. Websitebetreiber und Nutzer unterlägen jedoch dem Gebot der Rücksichtnahme, insbesondere müsse berücksichtigt werden, dass große soziale Netzwerke den Nutzern „einen „öffentlichen Marktplatz“ für Informationen und Meinungsaustausch“ verschafften.

Grundrechte müssen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz auch im privaten Rechtsverkehr Berücksichtigung finden. Grundrechte entfalten und beeinflussen somit die Auslegung des Privatrechts. Hier ist das OLG der Ansicht, dass auch das virtuellen Hausrecht es nicht erlaubt, einen Inhalt zu löschen, der die Grenzen der freien Meinungsäußerung nicht überschreitet.

Das OLG relativiert jedoch und erklärt, dass die Befugnis, Hassbotschaften zu löschen, nicht von der Nichtigkeit der Klausel berührt wird. Denn:

diese Befugnis stellt hinsichtlich der Einordnung eines Inhalts als „Hassbotschaft“ nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Antragsgegnerin bzw. der für diese handelnden Personen, sondern auf objektivierbare Kriterien ab.

Maßgeblich ist somit, dass der Betreiber der Website objektive Kriterien festsetzt anhand derer er Beiträge löscht.

Doch ein weiter Spielraum der Betreiber?

Dieses Verständnis wird durch das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18) und das OLG Dresden (Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18) bestätigt. In diese Entscheidungen – zum gleichen sozialen Netzwerk aber einer neueren Fassung der Nutzungsbedingungen – erkennen die Gerichte an, dass eine Löschung aufgrund objektiver Kriterien möglich ist.

Interessant dabei ist insbesondere, dass die Gerichte kein Problem damit haben, dass die Nutzungsbedingungen eine dynamische Verweisung auf ein weiteres Regelwerk (die „Gemeinschaftsstandards“) beinhalten. Dies schadet der Wirksamkeit der Klausel nicht. Maßgeblich ist für die Richter allein, dass es nicht (mehr) nur auf die subjektive Ansicht des Betreibers ankommt, dieser also kein unbeschränktes einseitiges Bestimmungsrecht mehr hat. Unter diesem Gesichtspunkt wird der Meinungsfreiheit nach Ansicht der OLGs ausreichend Rechnung getragen, denn Willkür oder Unverhältnismäßigkeit werden ausgeschlossen.

Dieses Vorgehen ist auch vom virtuellen Hausrecht gedeckt, das sich aus den Art. 2, 12 und 14 GG herleiten lässt. Die Gerichte gestehen Betreibern zu, in ihren Nutzungsbedingungen auch solche Inhalte zu verbieten, die von der Rechtsordnung eigentlich gebilligt werden, solange zur Prüfung von Verstößen objektive Kriterien zur Anwendung kommen.

Fazit

Wer in seinen Angeboten Nutzerkommentare zulässt, ist gut beraten, Regelungen dazu zu treffen, welche Inhalte unerwünscht sind. Dabei sollten nicht nur potentiell strafbare Inhalte bedacht werden, denn die Meinungsfreiheit reicht weit. Viele grundsätzlich legale Äußerungen können das Angebot trotzdem für andere Nutzer unattraktiv machen – je nach Charakter des Angebots etwa kommerzielle Werbung in einer Spiele-App, oder politische oder religiöse Diskussionen in einem Support-Forum. Wichtig ist nach den Vorgaben der Rechtsprechung, dass Betreiber sich nicht das Recht vorbehalten, über die Löschung von Content frei nach Gutdünken zu entscheiden.

Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Salomé Appler für die Mitarbeit an diesem Beitrag.


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