Eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Landgerichts Berlin von September 2010 (LG Berlin – Urteil vom 14.09.2010 – Az.: 103 O 43/10) sorgt derzeit bei Anbietern werbefinanzierter Internetinhalte für Unruhe. Auf entsprechende Klage des Dachverbandes der Verbraucherzentralen untersagte das Gericht einem niederländischen Anbieter kostenloser Browsergames verschiedene Formen von Werbeeinblendungen, mit denen der Anbieter nach Ansicht des Gerichts gegen das Wettbewerbsrecht verstieß.
Mit ihrem Klageantrag wandten sich die Verbraucherschützer unter anderem gegen die Gestaltung der Werbebanner auf der primär an Kinder adressierten Plattform. Die Banner wiesen eine einheitliche Größe auf und enthielten einen um 90° gedrehten Schriftzug „WERBUNG“. Die Klägerin sah diese Kennzeichnung nicht als ausreichend an und führte aus, dass die auffällig gestalteten und teilweise animierten Werbebanner sich von den angebotenen Spielen nicht hinreichend unterscheiden ließen. Hierin lag nach Ansicht der Verbraucherschützer ein Verstoß gegen das Verschleierungsverbot aus § 4 Nr. 3 UWG an, wonach redaktionelle Inhalte und Werbung auch im Internet grundsätzlich zu trennen sind. Der von der Beklagten aufgebrachte Schriftzug „WERBUNG“ könne an dieser Einschätzung nichts ändern, da Kindern das ausreichende Leseverständnis fehle. Das Gericht folgte dieser Argumentation und stellte in seiner Begründung insbesondere auf die Ziel- und Nutzergruppe der Plattform ab:
Für Kinder sind […] Spiele und Werbung nicht klar zu unterscheiden. Der Werbebanner ist in die Seite geradezu eingebettet. Der Schriftzug “WERBUNG” verlangt vom Nutzer ein entsprechendes Leseverständnis. Kindern tendieren jedoch dazu, Dinge anzuklicken anstelle sie vollständig zu lesen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Kinder den Schriftzug nicht wahrnehmen, weil die auffällig gestalteten und animierten Werbebanner ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen und dabei den Eindruck erwecken, es handele sich um eine weitere interaktive Spielmöglichkeit.
Mit weiteren Klageanträgen rügten die Verbraucherschützer, dass die Besucher der Plattform nach der Auswahl eines Spiels nicht sofort zum gewählten Inhalt gelangten, sondern zunächst auf zwischengeschaltete Werbeeinblendungen (sog. Interstitials) weitergeleitet wurden. Diese Werbeeinblendungen konnten durch Anklicken einer Schaltfläche teilweise bereits nach 5 Sekunden übersprungen werden. In anderen Fällen war der Nutzer hingegen gezwungen, Werbeeinblendungen von bis zu 20 Sekunden abzuwarten, bevor das gewünschte Spiel startete.
Während das Gerichts das nach 5 Sekunden abschaltbare Interstitial als hinnehmbar beurteilte, erachtete es die längere Werbeeinblendung ohne Abschaltmöglichkeit als Verstoß gegen das wettbewerbsrechtliche Verbot unzumutbarer Belästigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG und führte zur Begründung aus:
Die einzige Möglichkeit des Nutzers, sich der Werbung zu entziehen, besteht darin, die Seite durch Schließen des Browserfensters zu verlassen. Dies ist auch bei Berücksichtigung der Interessen der Beklagten nicht hinnehmbar.
Zwar hat das Gericht die wirtschaftlichen Interessen des Anbieters an der Finanzierung der kostenlos bereitgestellten Inhalte grundsätzlich anerkannt, es maß diesen jedoch unter Hinweis auf andere Formen der Werbefinanzierung kein überwiegendes Gewicht bei:
Das Angebot der Beklagten ist kostenlos. Zur Refinanzierung ist sie auf Werbeeinnahmen angewiesen. Ohne die Werbeeinnahmen wäre die Beklagte gezwungen, den Geschäftsbetrieb einzustellen. Die Beklagte hat daher ein erhebliches Interesse an effektiver Werbung. Dem Gericht sind jedoch Internetseiten bekannt, auf denen ebenfalls für Nutzer kostenlose Browserspiele angeboten werden, die erfolgreich auf andere Werbeformen zu ihrer Refinanzierung zurückgreifen. Darüber hinaus ist die Effektivität einer Werbeform durchaus fragwürdig, wenn sie vom Nutzer als ausgesprochen lästig empfunden wird.
Während die Ausführungen des Gerichts zur Zulässigkeit der Werbebanner grundsätzlich überzeugen können, erscheint das zuletzt gefundene Ergebnis aus mehreren Gründen bedenklich:
Zunächst lässt der Entscheidungstext die im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG vorzunehmende Interessenabwägung vermissen. Das Gericht belässt es insofern bei dem schlichten Hinweis, das Schließen der Seite als einzige Möglichkeit des Nutzers, sich der Werbung zu entziehen, sei nicht hinnehmbar. Die erforderliche Gegenüberstellung des (vermeintlich) widerstreitenden wirtschaftlichen Interesses des Anbieters und dem Interesse des Nutzers findet jedoch nicht statt.
Auch der Verweis des Gerichts auf „andere Werbeformen“ erscheint zumindest überflüssig, da der Unterlassungsanspruch im Ergebnis nicht die Werbeform des Interstitials als solche betraf, sondern lediglich seine konkrete Ausgestaltung. Ebenso wirken die Ausführungen zur Effektivität der Werbeform deplaziert, da bei der rechtlichen Beurteilung des Wettbewerbsverstoßes keine generellen Wirtschaftlichkeitserwägungen anzustellen sind – diese unterliegen allein der unternehmerischen Entscheidung des Anbieters und dürfen nicht zum Anknüpfungspunkt für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer Werbeform gemacht werden.
Für die Entscheidung, die zwanzigsekündige Werbeeinblendung vor der Weiterleitung zum Spiel als unzumutbare Belästigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 UWG einzuordnen, wäre aufgrund der Bedeutung des mittlerweile rechtskräftigen Richterspruchs eine ausführlichere Begründung wünschenswert gewesen. So bleibt unklar, wo genau zwischen 5 und 20 Sekunden die zeitliche Grenze zur unzumutbaren Belästigung überschritten wird.
Fazit:
Auch wenn das teilweise willkürlich erscheinende Urteil aus Berlin zahlreiche Fragen offen lässt, dürfte es mittlerweile der Urteilssammlung der Abmahnwirtschaft hinzugefügt worden sein. Verwender von vorgeschalteten Werbeeinblendungen sollten die jeweiligen Inhalte auf Länge der Einblendung und eine rechtzeitige Abbruchsmöglichkeit überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Soweit nach spätestens 5 Sekunden die Möglichkeit besteht, die Einblendung abzubrechen bzw. zu überspringen, ist nach aktueller Rechtslage nicht mit einer Abmahnung zu rechnen. Auch wenn das Urteil sich konkret nur zu Werbeeinblendungen vor Spielen äußert, dürfte die Argumentation des Gerichts auf sämtliche Formen vorgeschalteter Werbung übertragbar sein. Betroffen wären daher grundsätzlich auch Anbieter von Video-Inhalten, die vor ihren Videos nicht abschaltbare Werbefilme (sog. Pre-Roll-Ads) zeigen.
Update:
Zu einer sehr ähnlichen Gestaltung hat nunmehr auch das OLG Köln eine vergleichbare Entscheidung erlassen.
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