VG Berlin: JusProg ist doch ein geeignetes Jugendschutzprogramm

Im Mai dieses Jahres hatte die Kommission für Jugendmedienschutz entschieden, dass das Jugendschutzprogramm JusProg die Anforderungen des JMStV nicht erfülle, und deswegen die gegenläufige positive Eignungsbeurteilung der FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter) kassiert. Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Entscheidung angeordnet, so dass Anbieter, die sich zur Einhaltung des JMStV bisher auf die XML-Kennzeichnung ihrer Inhalte gesetzt hatten, buchstäblich über Nacht im Regen standen. Nunmehr hat das VG Berlin in einem Eilverfahren die Anerkennung des Programms vorläufig wiederhergestellt.

Hintergrund

Gegen den Bescheid, der die Anerkennung von JusProg aufhebt, hat die FSM Klage eingereicht. Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre der Bescheid bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung aber bereits wirksam gewesen. Anbieter entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte hätten also unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vorerst auf technische Sperren oder Sendezeitbeschränkungen umstellen müssen, um die Anforderungen des JMStV zu erfüllen.

Ordnet eine Behörde die sofortige Vollziehung eines Bescheides an, kann ein Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen (technisch gesprochen: „wiederherstellen“, § 80 Abs. 5 VwGO), wenn sich bei einer vorläufigen Prüfung entweder der Bescheid als rechtswidrig erweist oder aber die Anordnung der sofortigen Vollziehung als solche fehlerhaft ist, wenn etwa kein „besonderes“ Vollzugsinteresse vorliegt, das eine Durchsetzung erfordert, bevor der Betroffene die Rechtmäßigkeit des Bescheids gerichtlich klären lassen konnte.

Das hat das VG Berlin nunmehr getan – zumindest bis zur Entscheidung über die Anfechtungsklage der FSM (oder einer gegenläufigen Entscheidung aufgrund einer Beschwerde der Beklagten, die noch möglich ist) ist JusProg also weiterhin auch aus rechtlicher Sicht ein geeignetes Jugendschutzprogramm. In dem sorgfältig begründeten Beschluss (der in Auszügen hier nachgelesen werden kann) deutet das Gericht aber auch an, wohin im Hauptsacheverfahren die Reise geht.

Die Entscheidung

Das Gericht äußert Zweifel daran, ob es wirklich ein besonderes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Entscheidung gibt. Die KJM selbst habe das Jugendschutzprogramm im Jahr 2011 anerkannt und diese Anerkennung im Jahr 2017 noch einmal verlängert. Deswegen sei nicht ersichtlich, warum jetzt nicht eine gerichtliche Klärung abgewartet werden könne.

Letztlich war dieser Aspekt aber gar nicht entscheidungserheblich. Nach der – unser Ansicht nach zutreffenden – rechtlichen Bewertung des Gerichts ist schon der Bescheid rechtswidrig. Mit der sehr ausführlichen Begründung dieser Bewertung dürfte das Gericht auch schon die Weichen für die Entscheidung in der Hauptsache gestellt haben.

Die KJM hatte ihre Einschätzung insbesondere darauf gestützt, dass JusProg nicht auf allen Betriebssystemen lauffähig ist, insbesondere keine Versionen für MacOS und mobile Betriebssysteme vorlägen. Nach ihrer Interpretation erfordert § 11 JMStV aber eine Verfügbarkeit auf allen (relevanten) Betriebssystemen.

Dieser Sichtweise erteilt das Gericht eine Absage und exerziert dabei eine fast schon lehrbuchmäßige Auslegung der relevanten Vorschriften im JMStV durch:

  • Der Wortlaut von § 11 JMStV erfordere keine plattformübergreifende Verfügbarkeit. Von einer „flächendeckenden“ Verfügbarkeit sei dort nicht die Rede, nur von altersdifferenziertem Zugang und einer dem Stand der Technik entsprechenden Erkennungsleistung. Diese Eigenschaften des JusProg hatte auch die KJM nicht in Abrede gestellt.
  • Aus der Gesetzeshistorie ergebe sich eine solche Vorgabe ebenfalls nicht. Im Gegenteil, eine frühere Entwurfsfassung des JMStV habe sogar eine Regelung zur Verfügbarkeit auf verschiedenen Betriebssystemen enthalten, die im, Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dann gestrichen worden sei.
  • Aus systematischer Perspektive erfordere der Jugendschutz auch keine flächendeckende Verfügbarkeit eines einzelnen Programmes. Vielmehr sei es sogar besser, wenn es zahlreiche verschiedene Lösungen gäbe, als gar kein anerkanntes Jugendschutzprogramm.
  • Schließlich stehe auch der Zweck der Regelungen im JMStV der besonder strengen Interpretation der KJM entgegen. Eines der Ziele des Gesetzgebers in der jüngsten Reform des Jugendmedienschutzes sei es gewesen, Anreize zur Entwicklung und Verbreitung von Jugendschutzprogrammen zu setzen, was aber mit „allzu strengen Voraussetzungen an die Geeignetheit von Jugendschutzprogrammen“ konterkariert würde.

Fazit

Da JusProg damit bis auf Weiteres ein im Sinne des JMStV „geeignetes“ Jugendschutzprogramm ist, können Anbieter weiterhin mit der Kennzeichung ihrer Inhalte mit dem age-de.xml Tag den Anforderungen des JMStV genügen. Allerdings ist die jetzt ergangene Eilentscheidung natürlich nicht abschließend. Anbieter sollten daher die Entwicklung weiter verfolgen – wir werden das selbstverständlich ebenfalls tun und hier berichten.


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