Niederlande: Lootboxen müssen kein Glücksspiel sein

Das höchste niederländische Verwaltungsgericht (Raad van State oder Staatsrat) hat am 9. März 2022 (ECLI:NL:RVS:2022:690) entschieden, dass entgegen der Auffassung der niederländischen Glücksspielaufsichtsbehörde (Kansspelautoriteit (KSA)) und der Vorinstanzen die Einbindung von „Lootboxen“ in ein Sportsimulationsspiel kein (unlizenziertes) Glücksspiel darstellte, und ein gegen den Publisher verhängtes Bußgeld aufgehoben.

Lootboxen sind keine eigenständigen Spiele

Das Gericht nahm die konkrete Umsetzung von Lootboxen im Spiel unter die Lupe und kam zu dem Schluss, dass der Erwerb und das Öffnen von Spielerpaketen mit unbekanntem Inhalt ebenso zum Gesamterlebnis des Spiels gehörten wie andere, eindeutig geschicklichkeitsabhängige Komponenten. Dieses Spielelement konnte nicht als separates Angebot betrachtet werden, sondern musste als Teil des Spiels selbst angesehen werden. Es fügte zwar ein Zufallselement hinzu, führte aber nicht dazu, dass das gesamte Spiel dadurch die Grenze zum regulierten Glücksspiel überschreitet:

Die KSA hat die [Spielerpakete] als ein separates Glücksspiel eingestuft. Die KSA hat ihre Schlussfolgerung auf die Tatsache gestützt, dass die Packungen getrennt von den [Spielen] gekauft und geöffnet werden können. Die Waren können daher getrennt von den [Spielen] gewonnen werden. Der Kauf und das Öffnen der Packungen erfolgt in einem eigenständigen Vorgang, unabhängig vom Spielen der [Spiele].

[…]

Die Packs fügen dem Spiel ein Zufallselement hinzu. Die Abteilung folgt [dem Publisher] in seiner Argumentation, dass es üblich ist, dass die Spieler die Packs nur im Hinblick auf das Spielen virtueller Fußballspiele öffnen. Die Abteilung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Packs im [Spielmodus] erworben und geöffnet werden. [Der Publisher] argumentiert, dass 92 Prozent der Packs durch die Beteiligung am Spiel erworben werden. Die Spieler können durch ihre Geschicklichkeit [Münzen] verdienen, die sie durch das Spielen von Matches und das Erfüllen von Aufgaben im Spiel erhalten. Mit den so verdienten [Münzen] können sie Packs erwerben und öffnen. Mit dem Inhalt der Packs können die Spieler dann Teams zusammenstellen, Matches spielen und Aufgaben im Spiel erfüllen. Die Packungen werden nicht in einer vom [Spielmodus] getrennten Umgebung geöffnet. Das Öffnen der Packs kann zwar nicht während des Austragens von Matches und der Erfüllung von In-Game-Aufgaben erfolgen, findet aber in demselben [Spielmodus] statt. Die Tatsache, dass die Packs getrennt vom Spiel oder der Aufgabe im Spiel geöffnet werden, macht sie nicht zu einem separaten Spiel. Die Tatsache, dass es nicht völlig unmöglich ist, die Packs auf andere Weise zu erhalten, ändert nichts an dem oben Gesagten. Schließlich wird die überwiegende Mehrheit der Packs für die Teilnahme am Spiel erworben und verwendet.

Schwarzmarkt für ganze Accounts ist unerheblich

In der Entscheidung wird auch die Frage erörtert, ob der Inhalt der Lootboxen tatsächlich einen Geldwert hatte – ein wesentliches Element, um die Definition von „Glücksspiel“ nach niederländischem Recht zu erfüllen. Das Spiel selbst erlaubte es den Spielern nicht, Gegenstände aus den Packs zu verkaufen, aber die KSA hatte argumentiert, dass tatsächlich ein Schwarzmarkt existierte, der es den Spielern erlaubte, Gegenstände zu verkaufen, auch wenn dies bedeutete, die Mechanismen des Spiels zu umgehen und gegen seine Nutzungsbedingungen zu verstoßen:

[KSA hat argumentiert, dass] Preise unabhängig von [Spielen] gewonnen und unabhängig von [Spielen] gehandelt werden können, sowohl für [Münzen] als auch – auf dem Schwarzmarkt – für echtes Geld.

Das Gericht war jedoch anderer Meinung:

Die Handelbarkeit von Packs auf dem Schwarzmarkt ist relativ. Der Schwarzmarkt konzentriert sich auf den Handel mit kompletten Konten und nicht auf einzelne Packs oder deren Inhalt. Die KSA kann nicht aus einer Komponente – nämlich dass die Packungen getrennt vom Spiel gekauft und geöffnet werden können – auf ein separates Spiel schließen, es sei denn, die KSA kann im Einzelnen nachweisen, dass dies in großem Umfang geschieht. Dies ist der KSA nicht gelungen.

Fazit

Besonders interessant ist, dass das Gericht in seiner Begründung die Art und Weise hervorhebt, in der das Spiel von den meisten Nutzern gespielt wird – wohl eine gute Annäherung an die Art und Weise, in der es nach der Konzeption des Entwicklers bzw. Publishers gespielt werden soll. Es macht den Publisher nicht dafür verantwortlich, jeden möglichen Missbrauch zu verhindern, sondern betrachtet die beabsichtigte Funktionsweise, um festzustellen, ob ein Spiel die gesetzliche Definition eines Glücksspiels erfüllt.

Die Entscheidung selbst ist natürlich spezifisch für das Spiel in seiner konkreten Gestaltung, aber sie deutet darauf hin, dass die Glücksspielaufsichtsbehörde die Glücksspieldefinition möglicherweise zu weit auslegt, um Online-Spiele mit Lootbox-Mechanismen darunter zu fassen. Wenn Gegenstände aus solchen Packs nicht frei verkauft werden können und ein Spiel Elemente enthält, die über das Öffnen von Lootboxen hinausgehen, dürfte es in den Niederlanden in Zukunft viel schwieriger sein, es als erlaubnispflichtiges Glücksspiel einzustufen.


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