LG Hamburg: Spielregeln sind keine AGB, oder: Der (gar nicht) „rechtsfreie Raum Onlinespiel“

In Sachen Blizzard gegen Bossland (wir berichteten) hat das Landgericht Hamburg jüngst gegen die Hersteller von Bots für das MMO World of Warcraft entschieden (Urteil vom 23.05.2013, Az. 312 O 390/11, Volltext). Interessant ist das Urteil für Games-Rechtler insbesondere wegen der Ausführungen des Gerichts zum Unterschied zwischen (eigentlichen, gerichtlich überprüfbaren) AGB und „Spielregeln“, bei denen Spielbetreiber freie Hand haben.

Wettbewerbsverstoß durch Bots

Ganz kurz gefasst bejaht das Gericht in dem Urteil zum einen eine Verletzung der Marke „World of Warcraft“ durch die Werbung für den Bot, und diverse unlautere geschäftliche Handlungen (also Verstöße gegen das UWG), darunter insbesondere eine gezielte Behinderung, § 4 Nr. 10 UWG. Bossland werbe dafür, beim Spielen von WoW einen Bot zu benutzen, was in den Spielregeln dieses MMOs verboten ist. Dies stelle einen empfindlichen Eingriff in das Spielsystem von WoW und damit eine unlautere vertriebsbezogene Behinderung dar.

Spielregeln schaffen Spielrecht, keinen rechtsfreien Raum

An der Wirksamkeit und rechtlichen Beachtlichkeit dieser konkreten Spielregel hat das LG Hamburg keine Zweifel. Es geht sogar noch einen Schritt weiter und formuliert eingängig:

Die Klägerin ist uneingeschränkte Herrscherin über die interne Spielwelt und kann diese nach Belieben verändern. Insoweit sind der Inhalt des Spiels und die Spielregeln rechtlich kontrollfrei. (S. 24)

Dieser Satz ist prompt von einem Kollegen aufgegriffen worden (sogar mit Video), der damit das Onlinespiel als rechtsfreien Raum, ja gar als eine Art rechtsfreien Schurkenstaat (nach der Drei-Elemente-Lehre, die zu erläutern hier den Rahmen sprengen würde) einordnen möchte. Von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Kinderpornographie ist die Rede, und das alles sei möglich weil ja nach Ansicht des LG Hamburg in einem Onlinespiel kein anderes (staatliches) Recht als das des Spielbetreibers gelte, und dieser solche Umtriebe nicht verbiete – oder jedenfalls nicht verbieten müsse.

Das ist natürlich übertrieben und eine Verdrehung der Aussage des Gerichts. Eine Onlineplattform ist kein Staat, sondern selbstverständlich staatlichen Regeln unterworfen, nur sehen diese Vorschriften nach (m.E. zutreffender) Ansicht des Gerichts eben vor, dass der Spielebetreiber gewisse Spielregeln einführen und durchsetzen darf, wie ihm das beliebt. Wenn jemand dagegen über einen Chat, einen Sharehoster, innerhalb eines Onlinespiels oder sonstwie Kinderpornographie verbreitet, ist die Frage eines Verstoßes gegen Spielregeln sekundär – diese Handlungen stehen (wohl) weltweit unter Strafe (vgl. auch § 6 Nr. 6 StGB), ungeachtet der Regeln, die sich eine spezifische Onlineplattform geben mag. Ganz abgesehen davon, dass die Regeln der meisten Onlinespiele sehr wohl ausdrücklich alle Inhalte verbieten, die in irgend einem relevanten Rechtskreis gegen das Gesetz verstoßen (siehe z.B. Ziffer 8.1 der Gameforge-AGB und Ziffer 11.1 der (auch) für World of Warcraft geltenden Battle.Net AGB).

Spielregeln und AGB

Die Beklagten hätten in diesem Fall wohl gerne gesehen, dass das Gericht das Bot-Verbot in den Spielregeln mit den Mitteln der AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB) kippt. Dann wäre nämlich auch die Unlauterkeit des Eingriffs in das Spielsystem schwieriger zu begründen gewesen.

Das tut das Gericht aber mit gutem Grund nicht. Stattdessen grenzt es eindeutig ab zwischen den eigentlichen AGB und den „Spielregeln“, die nur spielinterne Wirkung haben. Diese Spielregeln können jederzeit vom Anbieter geändert werden und unterliegen nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle:

Die Klägerin ist […] völlig frei, (theoretisch) intransparente oder benachteiligende Spielregeln festzulegen. Eine mögliche Unwirksamkeit nach AGB-rechtlichen Gesichtspunkten ist unerheblich, da die Spielregeln grundsätzlich zunächst einmal nur spielinterne Wirkung haben. […] Unerheblich ist es auch, ob die Klägerin die Spielregel erst seit dem Jahr 2008 oder bereits früher in ihre Nutzungsbedingungen aufgenommen hat. Es ist für den Unterlassungsanspruch bereits ausreichend, dass sich die Spielregel derzeit in den Nutzungsbedingungen befindet. (S. 24)

Unwirksam können im Übrigen auch AGB von vorne herein nur sein, wenn sie unverständlich sind oder von einer gesetzlichen Vorgabe abweichen (§ 307 Abs. 3 BGB), was man bei dem Bot-Verbot mit Recht bezweifeln kann.

Das LG Hamburg ist nicht allein

Mit der Anerkennung rechtlich kontrollfreier „Spielregeln“, die gerade keine AGB im Rechtssinne sind, bewegt sich das LG Hamburg in eine Richtung, die schon 2006 vom AG Regensburg und vom LG Regensburg angedeutet worden ist, dort freilich im Zusammenhang mit einem Free-to-play MMO. Das AG Regensburg (Urteil vom 27.04.2006, Az. 9 C 3693/05, Volltext) hatte ausgeführt:

Hier hat die Beklagte deshalb grundsätzlich vergleichbar dem Hausrecht ein nicht überprüfbares Recht, zu entscheiden, wer mitspielen darf oder nicht. […] Den Spielregeln […] ist eindeutig zu entnehmen, dass Tibia-Gegenstände nicht für echtes Geld angeboten werden dürfen. Dies ist letztlich auch Ausdruck dafür, dass es sich bei „Tibia“ um ein Spiel und nicht um eine Erwerbsmöglichkeit handelt. Diesbezüglich ist auch klarzustellen, dass auch die „tibia rules“ keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen sondern Spielregeln darstellen. Dies folgt bereits daraus, dass die Teilnahme am Spiel grundsätzlich jedermann kostenlos möglich ist, so dass vor dem Hintergrund des „virtuellen Hausrechts“ der Beklagten kein Bedarf für Allgemeine Geschäftsbedingungen im Rechtssinn besteht, selbstverständlich aber für Spielregeln.

Dieses Urteil hat das LG Regensburg (mit Urteil vom 17.10.2006, Az. 2 S 153/06, Volltext) bestätigt.

Spielregeln als Leistungsbeschreibung

Die Argumentation des AG Regensburg ist auf den Fall WoW zwar schon deshalb nicht 1:1 übertragbar, weil es sich hier nicht um ein kostenloses Spiel handelt, und selbstverständlich enthalten die Nutzungsbedingungen für Battle.Net/World of Warcraft auch AGB im Rechtssinne. Allerdings können AGB, neben den eigentlichen „Bedingungen“ auch verbindliche Leistungsbeschreibungen beinhalten, die gerade nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Solche kontrollfreien Leistungsbeschreibungen sind nach der Rechtsprechung des BGH bei erforderlichen Festlegungen von „Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung“ anzunehmen.

Bei immateriellen Leistungen – wie der Ermöglichung der Spielteilnahme – ist die Abgrenzung von Leistungsbeschreibung zu Vertragsbedingung zugegebenermaßen nicht trivial. Allerdings machen Regelungen wie das Verbot von Zusatzsoftware (und ähnliche auf den fairen Spielbetrieb und die Erhaltung eines konsistenten Spielerlebnisses gerichtete Regelungen) den Charakter eines Onlinespiels entscheidend aus. Diesen Charakter zu formen und zu gestalten ist der Kern dessen, was ein Spielebetreiber tut und tun dürfen muss, ohne dass ein Gericht dazwischen funkt. Nichts anderes meinen die Richter wenn sie sagen, die Inhalte des Spiels, die „nur spielintern“ wirkenden Regeln, seien rechtlich kontrollfrei.

Dem LG Hamburg ist auch unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung beizupflichten: Spielregeln für Onlinespiele sind Leistungsbeschreibungen. Insoweit, also soweit der Charakter des Spiels definiert wird, sind die Spielregeln einer Inhaltskontrolle nicht unterworfen.

Anmerkung am Rande: Auch wenn so Mancher es gerne dahingehend mißverstehen würde – es ist ganz sicher nicht gemeint, dass das Spiel verbotene Kennzeichen, strafbare Beleidigungen oder anderweitig verbotene Medieninhalte aufweisen dürfte, ohne dass staatliche Stellen einschreiten könnten.

Auch dass für andere klassische AGB-Themen wie die Haftungsbeschränkung des Anbieters, die Kündigung, die Zahlungsmodalitäten, ja sogar die Rechtswahl, sehr wohl eine Inhaltskontrolle eingreifen kann, stellt das Gericht weder ausdrücklich noch implizit in Abrede.

Fazit

Bei der Ausgestaltung der Regeln, die die Interaktion von Spielern innerhalb einer Onlinewelt betreffen, sind Spieleanbieter nicht durch die Vorschriften des AGB-Rechts beschränkt. Sogar intransparente oder „unfaire“ Spielregeln könnten Spieler nicht auf dem Rechtsweg angreifen – sie können allenfalls dem Spiel den Rücken kehren. So auch das Gericht:

Ob [bestimmte Regeln] dazu führen, dass unter Umständen manche Nutzer das Spiel als unfair oder unausgewogen empfinden, ist ohne Relevanz für die Wirksamkeit der Spielregeln. Bei exzessivem Ungleichgewicht mag ein Spielveranstalter Kunden verlieren. Dies ist aber eine letztlich betriebswirtschaftliche Erwägung des Veranstalters. (S. 24)

Der Vollständigkeit halber: Das Urteil ist soweit bekannt noch nicht rechtskräftig.


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