„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ – BGH statutiert neue Plichten beim Löschen von Kommentaren und der Sperrung von Nutzern

Der Umgang mit Hassrede im Internet und welche Rechte und Pflichten die Plattformbetreiber bei deren Bekämpfung haben, hat in jüngster Zeit die deutschen Gerichte mehrfach beschäftigt. Aus dem politischen Diskurs sind die großen Plattformen längst nicht mehr wegzudenken – mit den bekannten Problemen. Zum Schutz der demokratischen Institutionen, aber auch im Interesse der Meinungsfreiheit Dritter bedarf es klarer Spielregen für die Diskussion im Netz. Andererseits beobachten viele mit einigem Unbehagen, dass die Entscheidung darüber, was noch als zulässige Meinungsäußerung gilt und wo die Grenzen zur Hassrede überschritten ist, zunehmend privaten ausländischen Unternehmen übertragen wird. Dabei kommt es insbesondere immer wieder zu Streitigkeiten, wenn soziale Netzwerke Beiträge löschen oder Profile sperren, weil die Äußerungen gegen die plattformeigenen Richtlinien verstoßen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 29. Juli 2021 überraschend weitreichende Anforderungen aufgestellt, die erfüllt werden müssen, wenn Beiträge gelöscht oder Accounts gesperrt werden sollen.

Der Fall

Im konkreten Fall klagten zwei Nutzer eines großen sozialen Netzwerks gegen das Unternehmen, weil dieses ihre Profile vorrübergehend gesperrt und ihre Kommentare gelöscht hatte. In seinen Nutzungsbedingen verlangt das Netzwerk, dass Nutzer nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen dürfen. Diese verbieten unter anderem Hassrede, welche in den sogenannten Gemeinschaftsstandards genauer definiert wird. Die beiden Kläger äußerten sich in Kommentaren abschätzig über Muslime und Menschen mit Migrationshintergrund woraufhin das Netzwerk die Kommentare löschte und die Nutzerkonten vorrübergehend sperrte.

Kollidierende Grundrechte führen zu Verfahrenspflichten

Im Kern geht es um die Frage wie die kollidierenden Grundrechte der Nutzer und der Plattformbetreiber in Einklang gebracht werden können und inwiefern diese mittelbare Drittwirkung für ein eigentlich rein privatrechtliches Verhältnis zwischen Nutzern und Plattformen entfalten. Denn ihrer Konzeption nach binden Grundrechte lediglich den Staat, aber nicht private Unternehmen oder Privatpersonen. Andererseits etablieren die Grundrechte gewisse allgemeine Wertentscheidungen, die auch im Verhältnis zwischen Privaten nicht unberücksichtigt bleiben können.

In seiner Entscheidung überprüfte der BGH, ob die Klauseln zur Löschung von Posts und der Sperrung von Konten das Grundrecht der Nutzer auf freie Meinungsäußerung und das Recht des sozialen Netzwerks auf freie Berufsausübung in einen angemessenen Ausgleich bringen. Er kommt dabei zu dem durchaus überraschenden Ergebnis, dass das Netzwerk grundsätzlich berechtigt ist gewisse Standards für die Kommunikation aufzustellen, die im Detail strenger sein können als die strafrechtlichen Vorgaben (beispielsweise Beleidigung oder Volksverhetzung) oder das NetzDG, sowie Verstöße durch Löschen oder das Sperren des Kontos zu sanktionieren. Gleichzeitig erlegt er dem Netzwerk jedoch recht umfassende Transparenz- und Verhaltenspflichten auf: So müssen Nutzer wenigstens nachträglich informiert werden, wenn ihr Post gelöscht wurde und im Falle einer Kontosperrung bereits im Vorfeld. Zudem muss der betroffenen Person der Grund mitgeteilt und die Möglichkeit gegeben werden dazu Stellung zu nehmen, sowie die Entscheidung im Anschluss überprüft werden.

Was bedeutet das für Games?

Mit seiner jüngsten Entscheidung geht der BGH deutlich über die bisherige Praxis der Gerichte hinaus, die hinsichtlich der Formulierung klarer Standards für die Nutzungsbedingungen von Plattformen eher zuhaltend waren. Eine vertiefte rechtliche Analyse dazu liefert übrigens ein ausgezeichneter Beitrag im Verfassungsblog von Dr. Tobias Lutzi (dem geneigten Spielerechtsblog-Fan ja kein Unbekannter).

Inwiefern die Entscheidung nur für große Player Bedeutung entfaltet oder ob auch kleinere Plattformen und Spieleanbieter diese doch recht ressourcenintensiven Pflichten erfüllen müssen, ist nach jetzigem Stand noch nicht ganz klar. Der BGH hat bisher nur eine Pressemitteilung veröffentlicht, das gesamte Urteil ist noch nicht im Volltext zugänglich. In früheren Entscheidungen haben die Gerichte darauf abgestellt, ob die Plattform einen Raum zur Information und zum Meinungsaustausch (So z.B. OLG München, Beschl. vom 24.08.2018 – 18 W 1254/18) schafft. Das dürfte so zu verstehen sein, dass es im Einzelnen auf die Gestalt des konkreten Angebots ankommt und vermutlich auch auf eine gewisse Reichweite und Größe. Allerdings zeichnet sich mit dem jüngsten Urteil des BGH eine Entwicklung zu zunehmend strengeren Anforderungen an die Anbieter ab, sodass die Thematik auch von Spieleanbietern und kleineren Diensten aufmerksam verfolgt werden sollte.

Ausblick

Langfristig führt kein Weg an der Schaffung klarer gesetzlicher Vorgaben vorbei, um der komplexen Thematik und der gesellschaftspolitischen Bedeutung gerecht zu werden. Mit dem Digital Services Act wird derzeit auf europäischer Ebene an einem weitreichenden Gesetzespaket gearbeitet, das viele der umstrittenen Problemfelder abschließend regeln soll.  

Wir danken unserer Referendarin Tina Kling für die Mitarbeit an diesem Beitrag


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