Als der BGH im Juli 2013 seine Entscheidung „Runes of Magic“ verkündete, ging ein Aufschrei durch die Spielebranche.
Anfang 2014 wurde nun die vollständige Urteilsbegründung bekannt und die gefühlten Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung erwiesen sich als berechtigt. Inzwischen wurde die Entscheidung, die der BGH trotz fehlender Rechtskraft (s.u.) nun auch selbst im Internet veröffentlicht hat, von verschiedensten Seiten durchleuchtet und kritisiert. Uns haben viele spannende Stellungnahmen zum Fall „Runes of Magic“ erreicht und wir haben darüber lange interessante Diskussionen geführt.
Die gesammelten Kritikpunkte fassen wir im Folgenden zusammen.
Die rechtliche Ausgangslage
„Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse Etwas“ .
Diese Aussage sollte nach Ansicht des BGH eine unzulässige Kaufaufforderung an Kinder darstellen. Unverständnis und Verunsicherung waren die Folge für die Branche – und weit darüber hinaus.
Der BGH stützt seine Entscheidung auf § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nummer 28 des Anhangs zum UWG, der sog. „schwarzen Liste“. Danach ist eine unmittelbare Aufforderung an Kinder innerhalb einer Werbeanzeige wettbewerbsrechtlich unzulässig, wenn Kinder dazu aufgefordert werden, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder ihre Eltern dazu zu veranlassen.
Auslegung des Begriffes „Kind“
Der BGH geht davon aus, dass sich die Werbeaussage „Schnapp dir…“ gezielt an Kinder richtet. Was genau der Begriff „Kinder“ in Nummer 28 der schwarzen Liste umfasst, ist seit Jahren heftig umstritten. Vor allem ist unklar, ob der Begriff sämtliche Minderjährige erfasst oder nur Kinder unter 14 Jahren.
Der BGH vermeidet es, sich für eine der vertretenen Ansichten zu entscheiden – was letztlich auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht außerordentlich schade ist. Die Anzeige sei so formuliert, dass sie sich „gerade auch“ an Kinder unter 14 Jahren richte. Das genüge für einen Verstoß gegen Nummer 28 der schwarzen Liste.
Der Bundesverband der Computerspielindustrie G.A.M.E. kritisiert zu Recht, dass es nicht ausreicht, wenn sich eine Werbung „gerade auch“ an Kinder richtet. Das Gesetz fordert vielmehr, dass eine Werbung auf Kinder ausgerichtet sein muss. Kinder dürfen also nicht bloß als Teil einer breiteren Zielgruppe erfasst sein, sondern die Werbung muss gerade auf sie abzielen. Ähnlich haben wir es auch hier im Blog schon formuliert: Der BGH hätte sich festlegen müssen, auf welche Altersgruppe es denn nun ankommt, um präzise bestimmen zu können, ob gerade diese von der Werbung angesprochen werden soll.
Indizien für die Ansprache von Kindern
Ob die Anzeige sich nun an Kinder richtet, macht der BGH an Indizien fest. Dazu heißt es in der Urteilsbegründung:
„Für diese Beurteilung genügt für sich allein genommen zwar nicht schon die […] Anrede mit „Du“ […]. Die streitgegenständliche Werbung ist jedoch im Gesamtzusammenhang zu beurteilen. Sie wird sprachlich von einer durchgängigen Verwendung der direkten Ansprache in der zweiten Person Singular und überwiegend kindertypischen Begrifflichkeiten einschließlich gebräuchlichen Anglizismen geprägt […]. Dies reicht aus, um eine gezielte Ansprache Minderjähriger, und zwar auch Minderjähriger unter 14 Jahren, zu bejahen.“
Der BGH stellt also auf mehrere Indizien ab, um festzustellen, ob sich die Werbung an – ja wen eigentlich richtet? Ob es um alle Minderjährigen oder nur Kinder unter 14 Jahren geht, bleibt bei der Bewertung der Indizien durch den BGH auch hier offen. Als Begründung ist das nicht ausreichend, weil dargelegt werden müsste, warum sich die Werbung (angeblich) eindeutig an Kinder unter 14 richtet.
Einerseits wird der Empfänger der Werbung mit „Du“ angesprochen. Andererseits werde von „überwiegend kindertypischen Begrifflichkeiten“ – welche, das lässt der BGH offen – Gebrauch gemacht. Darüber hinaus sei die Anzeige durch „gebräuchliche Anglizismen“ geprägt.
Diese Argumentation wurde gleich von mehreren Seiten angegriffen. In den meisten Medienberichten reagierten die Kommentatoren schon mit Unverständnis auf die Annahme, die Anrede „Du“ in Verbindung mit Anglizismen sei typisch für Kindersprache. In die gleiche Richtung ging auch unsere Kritik: Der BGH benennt nicht konkret, welche Formulierungen er aus welchem Grund für kindertypisch hält. Eine Abgrenzung zwischen kinder-, jugend- und internetspezifischer Sprache ist da kaum möglich.
Auch bezüglich der „gebräuchlichen Anglizismen“ ist die Argumentation des BGH keineswegs solide. In einem weiteren Teil der Anzeige war vom „Pimp deinen Charakter“ und von „Dungeons“ die Rede. Inwiefern diese Formulierungen gerade für Kinder – unter 14 Jahren! – typisch sein sollen, lässt der BGH vollkommen offen.
G.A.M.E. weist mit Recht darauf hin, dass ein eher jugendlicher Sprachstil kennzeichnend für die gesamte Spieleszene ist – obwohl 85% aller Computerspieler volljährig sind und der Altersdurchschnitt aller Computerspieler bei 32 Jahren liegt. Die sprachlichen Indizien, an die der BGH anknüpft, erscheinen also schon von vorneherein wenig geeignet, um das Alter der Zielgruppe zu ermitteln. Der BGH hielt indessen die tatsächliche Altersstruktur der Spieler für „nicht entscheidend“ – ohne diese Meinung jedoch weiter zu begründen.
Dispositionsgrundsatz und tatrichterliche Würdigung
Ein weiteres Problem: Der BGH stützt seine Argumentation unter anderem auf „gebräuchliche Anglizismen“ in der Anzeige. Wir erinnern uns, die streitgegenständliche Formulierung lautete:
„Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse Etwas“
Anglizismen enthält dieser Satz nicht. Lediglich im weiteren Text der Anzeige war etwa von „pimpen“ die Rede. Allerdings: Diesen Teil der Anzeige hatte der vzbv ausweislich der Entscheidungsgründe des BGH gar nicht angegriffen. Ist die Darstellung im Urteil korrekt, verstößt der BGH damit möglicherweise gegen den Dispositionsgrundsatz. Dieser besagt, dass im Zivilprozess allein die Parteien bestimmen, was Gegenstand des Streits sein soll. Wenn der vzbv also nur die Formulierung „Schnapp Dir…“ angreift, kann der BGH nicht ohne Weiteres den Rest der Anzeige rechtlich bewerten.
Auch ein weiterer Punkt spricht gegen die Argumentation des BGH: Als Revisionsinstanz hat der BGH die Urteile der Vorinstanzen lediglich auf Rechtsfehler zu prüfen. Die tatsächliche Beurteilung des Sachverhaltes obliegt dagegen den Instanzgerichten. Wenn sich der BGH nun aber mit den Indizien auseinandersetzt und daraus tatsächliche Schlüsse zieht, bewegt er sich an die Grenze der sog. „tatrichterlichen Würdigung“. Und für diese ist der BGH nicht zuständig (§ 559 Abs. 2 ZPO) und hätte den Streit stattdessen an das Berufungsgericht zurückverweisen müssen (§§ 562, 563 ZPO). Das ist nämlich schon immer dann vorgeschrieben, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, dass neuer Sachvortrag zu einem rechtlich relevanten Thema erfolgen müsste. Da beide Vorinstanzen die Klage (aus unterschiedlichen Gründen) abgewiesen hatten, liegt es sehr nahe, dass sie sich nicht abschließend mit allen nun vom BGH bejahten Tatbestandsmerkmalen befasst bzw. über alle relevanten streitigen Punkte tatsächlich Beweis erhoben haben.
Eine Zurückverweisung hätte sich auch aus weniger formalen Gründen angeboten: Der BGH spekuliert darüber, wer Zielgruppe des Spiels sein könnte und welche Formulierungen für welche Altersgruppe besonders kennzeichnend sind. Juristen sind aber keine Linguisten oder Pädagogen. Eine Untersuchung durch Sachverständige hätte diese Fragen klären können – und damit nicht nur das Urteil auf eine fundierte Grundlage stellen können, sondern auch wertvolle Hinweise für die Praxis gegeben, um rechtssicheres Marketing zu gewährleisten. Stattdessen entzieht sich der BGH nicht nur einer Sachverständigenuntersuchung, sondern unterlässt auch jegliche Begründung seiner Auffassung.
Auch die Tatsache, dass es sich hier – untypisch für den BGH – um ein Versäumnisurteil handelt, ändert die Anwendbarkeit dieser Grundsätze nicht. Denn ein Versäumnisurteil wird wie ein herkömmliches Urteil rechtskräftig wenn kein Einspruch erfolgt. Schon daraus folgt, dass die Kompetenzen des BGH (auch) in diesem Fall nicht weiter sein können als der Rahmen der ZPO für den Normalfall vorgibt.
Unmittelbare Kaufaufforderung
Ein weiterer ausgesprochen kritischer Punkt der Entscheidung war die Frage, ob es sich bei der Anzeige um eine „unmittelbare Kaufaufforderung“ handelt. Denn nicht jede Werbung, die an Kinder gerichtet ist, ist rechtswidrig. Das Wettbewerbsrecht setzt nur dort eine Schranke, wo Kinder gezielt und unmittelbar zum Kauf von Produkten aufgefordert werden.
Eine solche unmittelbare Kaufaufforderung setzt voraus, dass zwischen der Aufforderung und dem Kaufentschluss keine noch zu tätigenden wesentlichen Schritte mehr stehen. Zum Teil wird in der Literatur sogar gefordert, dass bereits der Preis und die wesentlichen Merkmale eines Produkts in der Anzeige genannt werden müssen, um von einer unmittelbaren Aufforderung ausgehen zu können.
Auch hier vermeidet der BGH eine Entscheidung über den Meinungsstreit. Die Werbeanzeige und die dort verlinkte Webseite seien als Einheit zu betrachten. Maßgeblich sei der angesprochene Verkehrskreis:
„Ob eine Werbung eine unmittelbare Aufforderung zum Kauf von Produkten enthält, ist aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Konsumentengruppe, mithin eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Kindes zu beurteilen. […] Der angesprochene Verkehrskreis […] erkennt […] hinreichend deutlich, dass er zu einem entgeltlichen Erwerb von Ausrüstungsgegenständen aufgefordert wird, auch wenn die einzelnen Waren oder Dienstleistungen noch nicht an dieser Stelle, sondern erst auf der nächsten, durch einen Link verbundenen Seite dargestellt werden.“
Auch diese Argumentation wurde vielfach in der Branche kritisiert. Zunächst rächt es sich hier, dass der BGH sich zuvor nicht dazu äußern wollte, auf welche Altersgruppe es genau ankommt. Denn während dort noch die Rede von Minderjährigen, darunter „gerade auch“ 14-Jährigen war, spricht der BGH hier unreflektiert von Kindern als angesprochenen Verkehrskreisen. Die fehlende Präzision am Anfang der Entscheidung kompromittiert damit auch die Argumentation an dieser Stelle.
Aber auch das Argument der Einheit aus Werbeanzeige und verlinkter Webseite leuchtet nicht ein. Der BGH sagt dazu, es sei hinreichend deutlich, dass der Nutzer „zu einem Erwerb von Ausrüstungsgegenständen aufgefordert wird“. Das allerdings ist hier gar nicht die Frage. Dass es sich bei der Formulierung „Schnapp‘ dir“ um eine Kaufaufforderung handelt, ist wohl unstreitig. Die Frage ist, ob es sich auch um eine unmittelbare Aufforderung handelt.
Gerade das ist hier aber zweifelhaft. Nach einem Klick auf die Anzeige musste sich der Nutzer zunächst auf einer Produktseite zwischen dutzenden Produkten entscheiden, möglicherweise sogar noch und einen Account anlegen und eine virtuelle Währung erwerben (bei Runes of Magic zahlt man in virtuellen Diamanten) – was in dem Spiel übrigens gar nicht zwingend der Zahlung echter Euros bedarf, weil die virtuellen Diamanten auch innerhalb des Spiels durch Erfüllung bestimmter Aufgaben verdient werden können. Erst dann konnte er ein Produkt durch „Tausch“ mit virtueller Währung auswählen und seine finale Erwerbsentscheidung treffen.
Am Rande: Das Eintauschen der „Diamanten“ in die beworbenen Gegenstände erfolgte gar nicht auf der verlinkten Website, sondern ausschließlich in einem Item-Shop innerhalb des Spiels. Dieser Aspekt war in den Urteilen der Vorinstanzen überhaupt nicht thematisiert worden; auch zur Klärung der Frage, wie genau der Erwerb der Items vonstattenging, hätte der BGH daher an die Vorinstanzen zurück verweisen müssen.
Von einer Unmittelbarkeit ist da schwerlich auszugehen. So sieht es etwa auch der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH), der sich ebenfalls jüngst mit der Auslegung der Nr. 28 der (europaweit ja einheitlichen) „schwarzen Liste“ zu befassen hatte. In seinem ebenfalls die Werbung für Computerspiele betreffenden Urteil vom 9.7.2013, Az. 4 Ob 95/13v führt der OGH aus (Hervorhebung von uns):
5.1. Nach diesen Grundsätzen enthält die beanstandete Werbung in Fernsehen und Internet keine direkten Aufforderungen an Kinder, die beworbenen Produkte zu kaufen. Sie beschränkt sich nämlich darauf, auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch der beworbenen Produkte hinzuweisen („Schlüpf in die Rolle von 45 verschiedenen D*****-Charakteren und erlebe mit deinen Freunden Abenteuer in fantastischen Welten“; „Löse Rätsel und starte durch“; „Hör Dir auf der CD den Soundtrack an“; „Schau Deine Lieblingsfolge auf DVD“), wodurch diese als reizvoll dargestellt werden. Zwischen diesen Aufforderungen, Produkte zu verwenden, und der Entstehung des Erwerbsentschlusses liegt ein zusätzlicher Schritt, den die angesprochenen Kinder selbst vollziehen müssen. Der Tatbestand nach Z 28 Anhang UWG liegt damit nicht vor.
5.2. An dieser Beurteilung ändert – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen – auch nichts, dass auf der Website in unmittelbarer Nähe der vom Kläger beanstandeten Werbebotschaften Links sichtbar sind, die nach der beigesetzten Erklärung einen Zugang zu einem Internet-Kaufforum ermöglichen, wo die beworbenen Produkte erhältlich sind. Diese Hinweise sind nämlich bloße Informationen über eine Erwerbsgelegenheit, die Links bloße Aufforderungen zum Betreten eines virtuellen Geschäftslokals; beides verwirklicht weder allein noch im Zusammenhang mit lauterkeitsrechtlich unbedenklichen Werbebotschaften den Tatbestand nach Z 28 Anhang UWG.
Für den BGH spielten diese Umstände hingegen keine Rolle. Für Kinder stelle die Produktauswahl keinen wesentlichen Zwischenschritt dar, so das Argument. Es drängt sich die Frage auf: Was ist dann ein wesentlicher Zwischenschritt?
Zahlung per SMS
In einem weiteren Absatz heißt es in der BGH-Entscheidung:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts […] kann die Bezahlung im Falle eines Erwerbs auch ohne besondere Schwierigkeiten über Kommunikationsmittel wie SMS abgewickelt werden“.
Der BGH wertet dies als weiteres Argument dafür, dass die Kaufaufforderung unmittelbar war – Kindern werde es so ermöglicht, ihren Kaufentschluss sofort in die Tat umzusetzen. Abgesehen davon, dass vor der Bezahlung per SMS noch einige weitere Registrierungsschritte sowie der Download des Game-Clients und der Aufruf des In-Game-Item-Shops notwendig waren, um letztlich Ausrüstungsgegenstände zu kaufen, ist die Darstellung des BGH auch sachlich unrichtig. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts ergab sich keinesfalls, dass die Zahlungen „ohne besondere Schwierigkeiten“ abgewickelt werden konnten. Die Formulierung stammt vielmehr aus dem streitigen Klägervortrag. Der BGH geht also von Feststellungen des Landgerichts aus, die es tatsächlich gar nicht getroffen hat. Ein weiteres starkes Argument dafür, dass der BGH den Streit hätte zurückverweisen müssen, anstatt ihn selbst zu entscheiden.
Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des BGH im Fall Runes of Magic hat für viel Unverständnis gesorgt – nicht nur in der Industrie, sondern auch bei vielen Gamern. Wenn Unternehmen nicht mehr in normalem Umgangston für ihre Produkte werben dürfen, sondern auf formale und gekünstelte Formulierungen zurückgreifen müssen, fühlen sich auch Kunden bevormundet. Ob es so weit kommen wird, muss sich allerdings erst noch zeigen. Gameforge hat inzwischen gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt, das Verfahren ist also noch nicht beendet. Es wird daher wohl noch einige Zeit ins Land gehen, bis über den Fall endgültig entschieden wird. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH diese Gelegenheit nutzt, um seine Argumentation zu überdenken. Angesichts der zahlreichen aufgezeigten Kritikpunkte besteht genügend Grund dafür.
Ein Beitrag von Tim Maiorino und Felix Hilgert. Wir danken auch unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Adrian Schneider für die Recherche und Unterstützung bei diesem Beitrag.
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